dresdenrap INTERVIEW: Joca über seine Comeback-Single TRÄGERRAKETEN, das Jahr 1999, 20 Jahre Rap und das „Internetgame“

Rapper, Produzent, studierter Soziologe und Familienvater. Nach über 100 Auftritten und mehreren Veröffentlichungen war es lange Zeit ruhig um ihn. Nun releast der Dresdner Musiker am 05.02.2021 seine neue Comeback-Single TRÄGERRAKETEN. Ist Ariane die bekannteste europäische Trägerrakete, so kann bei der bekanntesten Trägerrakete Dresdens nur von einem die Rede sein: Joca.
Mr. „Grown Man Rap“ im Interview mit dresdenrap.


Ich habe meine Musik immer in erster Linie für mich gemacht, wollte sie aber auch schon immer gern mit anderen teilen.“
(Foto: P0nk F0x)

dresdenrap: Joca, ich habe eine Weile überlegt wie ich am besten einsteige. Die übliche Frage wäre gewesen, wie lange du schon dabei bist und was die Leser*innen und Hörer*innen über dich wissen sollten, falls sie dich noch nicht kennen. Da wir beide eine Generation sind und in Summe 40 Jahre Rap machen, stelle ich die Frage anders:
Welches Lied oder welcher Künstler hat dich mit Rap infiziert? Erzähl uns deine Geschichte und vom Schlüsselmoment, der dich selbst hat zum Künstler werden lassen. Wann war das, wo war das und was geschah in den Folgejahren bis zum heutigen Tag?

Joca: Es muss im Winter 1999 gewesen sein. Die Location war das Kühlhaus in Dresden-Löbtau. Der Club war im Keller unter einer Kartbahn. Es sollten auch später noch viele legendäre Abende an diesem Ort stattfinden (so u.a. der Tourstopp der „Berlin bleibt hart“ Tour, etc.). Aber an diesem Abend war es Dynamite Deluxe, welche dort ein Konzert ihres ersten Albums „Deluxe Soundsystem“ gespielt haben. Ich war 13 Jahre, es war mein erstes (Rap-)Konzert und ich bin bis heute infiziert. Das was Samy damals auf der Bühne gemacht hat, die Energie im Publikum, all das hat mich nie wieder losgelassen. Ich hatte schon vor diesem Ereignis angefangen Texte zu schreiben, aber unabhängig von einem Rapkontext. Es waren eher Gedichte und kurze Prosa. Kurz nach dem Konzert habe ich selbst zu freestylen begonnen. Zunächst mit Freunden im Kinderzimmer, danach auf kleinen Jams und letztlich auf eigenen Konzerten unter dem Namen Homie MC. Dann kaufte ich mir mit einem meiner besten Freunde Stephan ein 8-Spur-TASCAM und habe von 19 bis 29 fast ununterbrochen Musik gemacht. Wir gründeten erst Eastside Entertainment, später ging diese Struktur unter einem neuen Namen auf: Stupidozid. Unter diesem Rahmen veröffentlichte ich zahlreiche Kollaboprojekte, sowie bereits 2011 mein erstes Soloalbum „SchallplaDDe“. Später kam es zur Trennung des Künstlerkollektivs um Stupidozid und zu einer Neuformation unter dem Namen Neustädter Harz. Insgesamt war ich seit 2007 an über 15 Albumproduktionen aktiv beteiligt, habe unzählige Songs aufgenommen und veröffentlicht und mittlerweile über 100 Liveauftritte in der ganzen Republik und auch darüber hinaus, so z.B. bei der Fête de la Musique in Straßburg gespielt. Dazu kommen Aufnahmen und Produktionen für andere Künstler*innen, Videoproduktionen und Konzertveranstaltungen aller Art, wie bspw. das TOWABO-Festival im Jahr 2013 mit zahlreichen großen Namen der Deutschrapszene. Was war noch? Rapworkshops in Deutschland und Belgien, und und und.

dresdenrap: Du lebst Rap und hast durch deine zahlreichen Auftritte, Projekte, Workshops and so on ganz sicher selbst viele damit infiziert und wirst es in Zukunft weiterhin tun. „Deluxe Soundsystem“ war ein Meilenstein was Deutschrap betraf. Hip-Hop hieß damals Texte auf Papier schreiben und darin Geschichten erzählen, mit Freunden treffen und freestylen, im Proberaum gemeinsam Songs basteln und Gigs veranstalten. In den letzten Jahren hat sich vieles verändert. Texte werden ins Smartphone getippt, das Studio ist zu Hause, Cyphern für viele ein Fremdwort und Gigs sind derzeit nicht möglich. Die “alte Generation“ ist oft der Meinung, dass die “neue Generation“ keinen „richtigen Rap“ mehr mache.
Wie siehst du die Entwicklung von Rap in den letzten 10-15 Jahren und wie ordnest du dich darin ein? Gibt es sowas wie „richtigen Rap“ und wenn ja, was verstehst du darunter? Hast du ein “Neuzeit-Deluxe-Soundsystem“?

Joca: Ich sehe die Entwicklung von Deutschrap fast durchweg positiv, da er sich über die Jahre immer weiter ausdifferenziert hat. Die Szene ist gewachsen, was natürlich auch die gängigen Probleme von Wachstum an sich mit sich brachte.
Doch über die letzten 20 Jahre sind viele Rapper*innen auf den Plan getreten, die diese Szene mit ihren unterschiedlichen Perspektiven und Stilen bereichert haben. Ich feier eigentlich alles (was dope ist) als Teil des Ganzen. Natürlich das Eine mehr und Anderes wieder weniger.

Auch die Entwicklung von Dresdner Rap im Speziellen verfolge ich intensiv und freue mich über die gute Richtung in die sich die hiesige Szene bewegt. Ich gebe mir regelmäßig die Songs aller etablierten und neuen Künstler*innen und beobachte mit Freude, dass die Qualität und Kreativität in den letzten Jahren in allen Bereichen stetig steigt. Props an der Stelle insbesondere an EFF32, Von Welt, Mias ZK, LaRey, Samzon, KLI, Juslem und Vync! S/O an die etablierten Kolleg*innen wie Armin, Gossenboss mit Zett, Kollege Hartmann, Speche, SDope & RoyPlus, Dueze, Aero, Halunke, SMC und Persé.

Ich glaube nicht, dass es so etwas wie „richtigen“ Rap gibt, aber es gibt auch definitiv einen Haufen Müll. Aber den gab es schon immer, heutzutage muss ich halt noch mehr nach den Perlen suchen. Früher war es schwerer nach guter Musik zu suchen, heute ist es schwerer gute Musik zu finden. Die gute Musik ist aber weiterhin da und es wird nur immer mehr. Das Deutschrap-Album, welches mich in den letzten 5 Jahren am meisten abgeholt hat, war „AVRAKADAVRA“ von Goldroger.

dresdenrap: Lass uns über deine neue Single TRÄGERRAKETEN plaudern. Wenn ich nach „Trägerrakete“ google, bekomme ich folgendes Ergebnis bei Wikipedia: „Eine orbitale Trägerrakete ist eine mehrstufige Rakete, die dem Transport von Menschen oder Nutzlasten in eine Erdumlaufbahn oder Fluchtbahn dient und somit ein System zum Betrieb von Raumfahrt ist.“
Was hat es mit dem Titel auf sich? Hast du manchmal das Bedürfnis von der Erde zu fliehen und das menschliche Treiben aus der Vogelperspektive zu betrachten oder fasziniert dich der Weltraum und seine Schwerelosigkeit?

Joca: Zu beiden Fragen: definitiv ja. Das Bedürfnis der Flucht ist genauso omnipräsent wie die Faszination für das Universum an sich. Dem Drang das menschliche Treiben von oben zu beobachten bin ich mit meinem Studium nachgegangen. Der Titel hat aber mit alldem nicht allzu viel zu tun, er leitet sich ganz simpel aus den letzten Textzeilen des Songs ab:

Wir verwenden unsere Zeilen nicht für dämliche Themen.
Schreiben Zeilen in die Welt, damit sie jeder da sehen kann.
Damit sich die Ideen frei durch die Gegend bewegen.
So wie Trägerraketen, Jap, wie Trägerraketen.“
(Auszug aus: Joca – Trägerraketen)

Cover (Artwork: Arda)

dresdenrap: Vor dem eigentlichen Release gibt es einen Tag zuvor zur Prime-Time um 20:15 Uhr eine Videopremiere von TRÄGERRAKETEN. Jeder der schon mal ein Musikvideo gedreht hat, weiß wie viel Aufwand dahintersteckt und dass dies etwas Besonderes ist. Der Song bekommt zusätzliche Atmosphäre und wird mit bewegten Bildern untermalt.
Erzähl uns gern was zum Dreh und den daran Beteiligten. Welche persönliche Bedeutung hat das Video für dich?

Joca: Der großartige David Ohl, welcher auch schon für meinen Neustädter Harz-Bandkollegen Gisela Björn 2 schicke Videos für dessen letztes Album abgedreht hat, sowie der fulminante Arda (Frau Albert / Kotburschi Kollektiv) haben ein Video-Leckerbissen der Extraklasse gezaubert! Der Dreh war super entspannt und hat allen Beteiligten einen Menge Spaß gemacht, die man mir im Video auch deutlich ansieht. Wir haben von früh um 8 an alles an einem Tag abgedreht. Meine Bandkollegen Franzman, welcher auch den Beat zum Song produziert hat, sowie Gisela Björn sind für kurze Cameo-Auftritte bei Dreh vorbeigekommen. Cana wird safe im nächsten Video seinen Platz finden 😉 Grüße an der Stelle an die ganze Geng! Arda hat neben der kuhlen Postproduktion des Videos auch noch das schicke Cover für die Single gemacht. Tausend Dank nochmal an dieser Stelle Keule! Am selben Tag ging es am Nachmittag noch nach Oschatz zur Releaseparty meines hochgeschätzten Rapperkollegen Speche. Das war tatsächlich unser letzter Live-Auftritt bis dato, damals schon unter strikten AHARegeln in einer alten Flughalle.

Das Video ist meine erste Soloveröffentlichung seit fast 10 Jahren und dementsprechend wichtig war es mir, dass der Song erstmal eine gute Stimmung verbreitet und was Sound, Grafik und Video angeht, auf der Höhe der Zeit ist. Mir macht der Song Lust auf mehr und ich hoffe den Hörer*innen wird es auch so gehen. Der Titel selbst hat es aber gar nicht auf das neue Album geschafft. Er stammt aus der Albumproduktionsphase, ist aber rausgefallen, weil er thematisch nicht ganz zum Rest passen wollte. Allerdings fand ich den Song zu stark, um ihn auf meiner Festplatte vergammeln zu lassen. Und so wurde er zum perfekten Startschuss der Album-Promo und nun zum ersten musikalischen Lebenszeichen von mir.

dresdenrap: Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Der Video-Teaser erlaubt einen akustischen Einblick in genau einen Loop. Das Piano mit den recht tiefen Tönen bleibt direkt im Ohr. Das „wissenschaftliche“ Artwork von Arda ist ein Blickfänger. Kurz gesagt: Es ist dir (mittels Social Media) gelungen uns alle neugierig zu machen! Wir leben in einer Zeit, in der Promo Instagram und Co heißt und du laut eigener Aussage eher „zufällig in dieses Internetgame reingeslidet“ bist. Gute Musik lebt von gutem Support.
Gibt es einen Grund weshalb du bisher nicht in diesem „Internetgame“ aktiv warst? Wie wichtig sind dir Support und Feedback?

Joca: Ich habe alles was mit der Produktseite der Musik zu tun hat immer nur mit Widerwillen und minimalen Einsatz vorangetrieben, da ich die Zeit lieber zum Musik machen nutzen wollte. Nun bin ich 2017 Vater geworden und habe eine kleine Familie (Liebste Grüße an Antje & Mathilda!❤️) zu versorgen. Da bleibt nicht mehr viel Zeit zum Musizieren.
Und so ist die Rechnung ganz einfach: Ich habe meine Musik immer in erster Linie für mich gemacht, wollte sie aber auch schon immer gern mit anderen teilen. Wenn ich es also schaffe, dass mehr Menschen meine Songs hören und ich dadurch ein wenig Geld dazu verdienen kann, muss ich weniger arbeiten und kann diese freie Zeit zum Musik machen nutzen. Simple as that. Deswegen versuche ich alle mir zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung zu setzen, um die neuen Songs so vielen Menschen wie nur möglich zeigen zu können. Und jeder Klick, Like und haste nicht gesehen hilft mir dabei, so albern das auch klingt.

dresdenrap: Dein letztes Album "SchallplaDDe" liegt ganze 10 Jahre zurück. Du hattest alles selbst aufgenommen und abgemischt. Auch der ein oder andere Beat war von dir. Dass du ein doper Spitter bist, hast du damals schon unter Beweis gestellt. Seitdem ist viel Wasser die Elbe heruntergeflossen. TRÄGERRAKETEN leitet die Promo-Phase deines neuen Albums ein.
Was erwartet uns inhaltlich und soundtechnisch auf deinem neuen Album? Warst du wieder selbst an der MPC aktiv und hast die Regler justiert? Kannst du uns schon ein paar interessante Informationen über die Platte liefern?

Joca: Zur Platte selbst will ich mich gern noch ein bisschen im Schweigen hüllen. Soviel sei gesagt, der Fokus bei dieser Platte war diesmal ein anderer. Habe ich mich bei „SchallplaDDe“ noch selbst aufgenommen und gemischt, Video produziert, etc. war das Ziel diesmal das Gegenteil. Ich habe mich allein auf meine Kernkompetenz - den Rap – konzentriert und mir für alles andere die talentiertesten Dudes gesucht, die ich finden konnte. Das hat die Platte immer mehr wachsen lassen und alle Beteiligten waren am Ende spürbar zufrieden, mit dem, was wir da vor fast genau einem Jahr bei der finalen Listening-Session aus den Boxen gehört haben. Ich freue mich sehr darauf die Songs mit der Welt zu teilen, aber jetzt liegt der Fokus erstmal auf der neuen Single „Trägerraketen“.

dresdenrap: Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast mit uns zu reden. Wir wünschen dir viel Erfolg mit deiner neuen Single und hören uns spätestens zu deinem Album mit (hoffentlich) einer Releaseparty wieder. Bleib der Dresdner Hip-Hop-Szene weiterhin so treu und vor allem gesund! Das abschließende Wort gehört dir.

Joca: Ich habe für das Interview zu danken! Es wird wahrscheinlich dieses Jahr eine Livestream-Release-Party zum Album geben und nächstes Jahr holen wir die „richtige“ Releaseparty einfach nach. Alle Infos dazu zu ihrer Zeit.
Wir sehen uns jetzt erstmal am Donnerstag, den 04.02.2021 um 20 Uhr im Chat unter folgendem Link zur Videopremiere: 
https://youtu.be/PRjSTvqS7cM. Den Song gibt es dann ab Freitag, den 05.02.2021 auf allen gängigen Streaming-Portalen zu hören.
Bleibt gesund.
Pies und Liebe, Joca 🚀🐳


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